Mit dem Ähreschieben sinkt das Blattwachstum
Ein hoher Weidedruck in den letzten Wochen zahlt sich jetzt mit einer höheren Grasqualität aus. Wenn hingegen viele Geilstellen vorhanden sind, sollte – bei trockenen Bedingungen – vorgemäht oder ein Säuberungsschnitt eingeplant werden.
Um die Bestockungskrise zu überbrücken, ist ein vorausschauendes Management – wie beim Traktorfahren – wichtig.
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Graswachstumsbericht Kalenderwoche 22
Nach der Wachstumsspitze folgt Ende Mai die Bestockungskrise. Im Grasmessnetz der AGFF wurden für die letzte Maiwoche verbreitet Wachstumsraten unter 70 kg TS/ha gemeldet. Dieser Rückgang ist in der Phase der Bestockungskrise normal: die Gräser bilden Ähren und Rispen, das Blattwachstum wird reduziert. Wenig Sonne und tiefere Temperaturen verstärken diesen Effekt. Für die kommende Woche ist mit einem ähnlichen Graswachstum zu rechnen. Deshalb sollten jetzt die Weideflächen vergrössert werden, um die Grashöhe im optimalen Bereich zu halten.
Die Weide gleicht einer riesigen Solaranlage
Unsere Weiden lassen sich mit einer riesigen Solaranlage vergleichen: Je mehr Blätter vorhanden sind, desto mehr Sonnenlicht kann in Wachstum umgewandelt werden. Wird diese Blattmasse reduziert, sinkt die «Leistung» der Solaranlage. Das bedeutet weniger Wachstum. Der durchschnittliche Weidefuttervorrat (DWV bzw. AFC) ist vergleichbar mit der Motordrehzahl beim Traktor: Ist sie zu hoch, überdreht der Motor, das Gras wächst zu schnell. Ist sie zu tief, stirbt der Motor ab – das Graswachstum bricht ein.
Wird der DWV zu stark abgesenkt (unter 550 kg TS/ha), zum Beispiel weil viele Koppeln gleichzeitig abgeweidet oder gemäht wurden, sinkt das Wachstum rapide. Deshalb ist vorausschauendes Management gefragt – wie beim Traktorfahren: Bei starkem Wachstum im Frühling kann der DWV bewusst reduziert werden (ca. 550 kg TS/ha). Fuss weg vom Gas vor der Einfahrt in einen abfallenden Strassenabschnitt. In Zeiten mit schwachem Wachstum (Sommer, Herbst, Trockenheit) sollte der DWV gezielt erhöht werden, um Wachstum und Vorrat zu sichern. Drehzahl hoch vor dem Einfahren in einen steigenden Strassenabschnitt.
Neue Blätter dank Reserven
Ein höherer DWV bringt gleich zwei Vorteile:
- Es stehen mehr aktive Blätter zur Verfügung – das steigert das Wachstum.
- Es entsteht ein stehender Vorrat, mit dem in Trockenphasen die Weideaufnahme länger hoch gehalten werden kann.
Nach dem Abweiden oder Mähen nutzt die Pflanze ihre Reserven in den Stoppeln dazu, neue Blätter zu bilden. Vollständig aufgefüllt sind diese Reserven erst nach 2 ½ Blättern. Bei 250 kg TS/ha hat das Gras etwa ein neues Blatt, bei 500 kg TS/ha zwei Blätter, beim dritten Blatt beginnt das Wachstum stark (exponentiell) zuzunehmen – dieses Blatt macht bis zu 50 Prozent des Ertrags aus.
Ein neues Blatt pro Woche
Bei guten Bedingungen bildet das Gras etwa ein neues Blatt pro Woche. Bei einer Umtriebsdauer von 21 Tagen entstehen so drei neue Blätter – rund die Hälfte des Ertrags entsteht in der dritten Woche.

Wird eine Koppel zu früh – vor dem Dreiblattstadium oder 1200 bis 1400 kg TS/ha nutzbares Gras – beweidet, wird das Wachstum stark gebremst. Es geht Ertrag verloren, und die Grasnarbe wird langfristig geschädigt. Einen Spezialfall bilden Bestände mit Rohrschwingel. Diese sollten bereits mit zirka 1000 kg TS/ha bestossen werden, da die Tiere bei über 1200 kg TS/ha nicht tief genug herunterfressen.
Betriebe mit tiefem DWV sollten jetzt gegensteuern, indem sie die Weidefläche vergrössern und/oder die Rotationsdauer durch Zufütterung verlängern. Wichtig: Die Rotationsdauer darf nicht weiter verkürzt werden, wenn das Gras knapp ist – sonst fehlt die Grundlage für neues Wachstum.
Autoren:
Martin Zbinden, INFORAMA
Michael Sutter